O du fröhliche - o du schreckliche Weihnachtszeit
„Es schönnste Fest der Christenheit des feiert mer zur Weihnachtszeit", so hat Hans Mehl vor einigen Jahrzehnten gereimt. Und - hat er nicht recht damit, der Nürnberger Poet? Weihnachten, nein weiße Weihnachten, ein festlich geschmückter Christbaum, Stapel mit bunt verpackten Weihnachtsgeschenken darunter, Weihnachtslieder aus dem Lautsprecher und eine harmonische Feier mit Papas Lieblingsessen im Familienkreis - gibt es etwas Schöneres als ein echt deutsches Weihnachtsfest?
Doch bringt uns das Weihnachtsfest tatsächlich immer nur „Freude, Friede, Eierkuchen"? Der „FT" hat einige Leser nach ihren schönsten, aber auch nach weniger erfreulichen Erinnerungen an das Lieblingsfest der Deutschen befragt.
Mancher der Befragten wurde nachdenklich bei der Frage nach angenehmen Erlebnissen. Zurückversetzt in die Kindheit, fielen den meisten die erfüllten Kindheitsträume ein: früher war das Holzspielzeug, später freute man sich über Metallbaukästen oder eine Eisenbahn, - anfangs eine solche zum Aufziehen, später war es eine elektrische von Fleischmann, TRIX oder Märklin. Als mehr Technik Einzug in die Wohnstuben hielt, wurden die Wunschträume der Buben erfüllt durch die Autorennbahn von Carrera und andere freuten sich über mechanische Roboter, mit denen sie den Weltraum erobern konnten.
Vor und nach dem Krieg schlug manches Mädchenherz höher, wenn in der Puppenstube neue Möbel standen oder die Wände anders tapeziert worden waren. „Wir hatten ja nicht viel, Geld schon gar nicht und der Großvater hat dafür gesorgt, dass immer wieder neue Möbel in der Puppenstube standen. Meine Großmutter war eine perfekte Näherin und hat auch immer wieder für neue Kleidchen für meine Puppe gesorgt", so E.F., die noch ergänzt „wenn meine Puppe kaputt war, dann haben die Eltern sie zum Puppendoktor gebracht. Ich war glücklich, wenn ich sie zu Weihnachten wieder bekommen habe, denn während des Jahres war sie spurlos verschwunden. Die Eltern haben mir dann immer erzählt, sie sei im Krankenhaus."
Mit dem zunehmenden Wirtschaftswunder wurden die Wünsche der Kinder immer größer, die Wunschzettel immer länger und die Augen der Jüngsten leuchteten, wenn selbst ausgefallene Träume Wirklichkeit wurden: Zwerghasen, Meerschwein oder Goldhamster, vielleicht sogar ein Schoßhund unter dem Tannebaum, waren keine Seltenheit. Später erfüllte das „Christkind", an das inzwischen keiner der Jugendlichen mehr glaubte, den Wunsch nach dem Kassettenrekorder, einem eigenen Fernsehgerät, dem mobilen Telefon, mit dem man sogar fotografieren konnte und heute wünschen sich die Jüngsten ein ipod oder gar das iphone touch. Die Wünsche der Minderjährigen und mit ihnen auch die Höhe der ausgegebenen Summen steigen in vielen Familien inzwischen in vierstellige Dimensionen.
Dass es bei all den schönen Geschenken auch unerfüllte Wünsche gab, verschweigen „FT"-Leser aber auch nicht. „Mein Bruder saß einmal grollend und schmollend in der Ecke unseres Wohnzimmers und weinte bittere Tränen. Er war enttäuscht, weil er das gewünschte bmx-Fahrrad nicht bekommen hatte. Unser Vater war der Meinung, dass wein solches Rad nicht verkehrstüchtig sei und Fredrik erst vor einem halben Jahr ein Fahrrad zum Geburtstag erhalten hatte", so Marianne F.
Die Erwachsenen können da ihre Enttäuschung schon besser verbergen, wenn der Papa eine gestreifte Krawatte auspackt, die ganz und gar nicht seinen Farbvorstellungen entspricht und wenn Mama sich zum dritten Mal hintereinander über ein geblümtes Nachthemd freuen soll. Und bei der Mutter entlädt sich dann die ganze Anspannung, die sich seit Tagen aufgebaut hat: Plätzchen backen, Weihnachtsgans besorgen, Streit schlichten wegen des Abendessens am Heiligen Abend, Ärger mit Vater beim Kauf des Weihnachtsbaums, Wohnung blitzblank putzen, Zahnschmerzen unterdrücken und, und, und...Die Nerven liegen ganz einfach blank - so wie bei vielen deutschen Hausfrauen zu Beginn der „fröhlichen Weihnachtszeit". Nicht umsonst haben Psychologen festgestellt, dass es gerade während der Weihnachtstage eine extrem hohe Zahl an Zerwürfnissen in deutschen Haushaltungen und Partnerschaften gibt. Vom ungewünschten Besuch von Onkeln, Tanten oder Schwiegereltern, der zum Eklat führt, soll hier gar nicht erst die Rede sein.
Von seinem schlimmsten Weihnachtserlebnis am Heiligen Abend erzählt „FT" Mitarbeiter P.G., ein ausgesprochener Fußballfan. „Es war in den 50-er Jahren. Ich hatte mir sehnlich ein „Tipp-Kick" Fußballspiel gewünscht - und unter dem Christbaum lag tatsächlich ein solches. Das Spielfeld wurde aufgebaut, ich spielte mit mir selbst: gelb gegen rot, bis sich mein Vater erbarmte und mich zu einem Match herausforderte. Ratz, fatz hatte Vater mir vier, fünf Tore „eingeschenkt" und mit jedem Treffer provozierte er mich, wo denn meine angeblich so hohen Fußballkünste geblieben seien. Dann erzielte Vater noch einen Treffer und bei mir brannte die Sicherung durch, als er wieder an meinen fußballerischen Fähigkeiten zweifelte und mir rutschte es spontan heraus: „Du blöder Hund".
Damit war der Heilige Abend für mich vorüber. All die Bitten von Mutter und Großmutter nutzten nichts, Vater zog die rote Karte und ich durfte den restlichen Abend im Bett verbringen. Was mich aber noch mehr fuchste war die Tatsache, dass mein kleiner Bruder mit seinen zwei Jahren solange aufbleiben durfte, bis die Erwachsenen zu Bett gingen." Es war ein fürchterlicher Heiliger Abend!
Noch ein Negativerlebnis gefällig? „Kindermetten am Nachmittag gab es bei uns früher nicht", so G.P. „Wir Kinder mussten mit den Erwachsenen um halb zwölf Uhr in die Mette gehen. Eltern und Großeltern beschlossen den Besuch der Christmette in der Klosterkirche. Fünf, sechs Patres feierten ein Hochamt in lateinischer Sprache mit viel Weihrauch, dass es uns Kindern fast schlecht wurde. Die Chöre sangen endlos, ebenfalls in Latein. Meine Augen wurden immer schwerer, die vielen Christbäume im Chor sah ich nur noch verschwommen. Einige Erwachsene begannen, sich zu unterhalten, einer knackte Nüsse in seiner Manteltasche und nach über zwei Stunden gab es endlich den Segen. Das Abschlusslied „o du fröhliche.." bekam ich nur noch im Halbschlaf mit. Und anschließend stand noch ein vier Kilometer langer Heimweg vor mir. Fürchterlich!
Doch bei den meisten Bundesbürgern überwiegen die positiven Erinnerungen an den Festabend beim Fest der Feste. Und mit dem eingangs zitierten Hans Mehl wollen wir enden: „Gern suung die Menschn junsrer Zeit mehr widder die Besinnlichkeit, walls nu wos Bessers af derer Welt gibt, als wie blooß die Jagd nach Geld." Besinnlich war es vor allem in den Kriegsjahren und in der Nachkriegszeit. Die Menschen mussten zusammenrücken, sie hofften und bangten. Würden die feindlichen Bomber, die in Richtung Nürnberg flogen, um ihre zerstörenden Bomben dort abzuwerfen, Herzogenaurach verschonen?
Wie geht es dem Vater, dem Bruder draußen im Feld? Sind sie am Leben? Und Frau S. war nicht zum Freudentanz zumute, als sie am Heiligen Abend den Brief von ihrem Mann von der Westfront bekam, dass er in französische Gefangenschaft geraten, aber unverwundet und am Leben sei.
Frau S. schlug die Hände vors Gesicht und weinte bitterlich - aber nicht vor Enttäuschung, sondern vor Freude und vor Glück. Die war mit Abstand ihr schönster Heiliger Abend.
Klaus-Peter Gäbelein