Freizeit und Vergnügen vor 100 Jahren
Fernsehen und Vergnügen bestimmen das Freizeitverhalten unserer Gesellschaft heute. Hinzu kommt der Wunsch nach ständig neuer „action", nach Abwechslung vom Alltag, nach Nervenkitzel und nach Sensationen. Doch welche Abwechslungen hatten unsere Vorfahren im 19. und im frühen 20. Jahrhundert? Diese Frage beantwortete Prof. Werner Blessing in einem informativen und unterhaltsamen Vortrag beim Heimatverein.Harte körperliche Arbeit bestimmte den Alltag einst. Bis ins 19. Jahrhundert brachten die Kirchenfeste, wie Weihnachten, Ostern, Pfingsten und Fronleichnam Abwechslung in das Alltagsleben der Menschen. Daneben waren Hochzeitsfeiern, Kindstaufen oder Wallfahrten eine willkommene Abwechslung. Die Höhepunkte im Feiertagskalender bildeten jedoch die Kirchweihfeiern. Gehörte der Vormittag noch dem Herrgott und den Heiligen, so war am Nachmittag und an den Kirchweihtagen zwischen Freitag und Montag weltliches Treiben angesagt. Da wurde aufgetischt, was Keller und Küche zu bieten hatten, zumal wenn die Verwandtschaft zu Besuch kam, es wurde getanzt, gesungen und musiziert.
Bisweilen musste bei ausschweifenden Feiern die Obrigkeit eingreifen. So wurde in Herzogenaurach verboten, dass Gäste bei Taufen oder Hochzeitsfeiern Säcke mitbringen, „darein Speisen zu fassen seien", also Essen, das sie mit nach Hause tragen wollten. An den Wallfahrtsorten, wie Gößweinstein oder Vierzehnheiligen trafen sich Hunderte, ja Tausende von Pilgern, die nach getaner Buße in den Schänken und an den Verkaufsbuden Abwechslung fanden. Dass die Wallfahrtsleiter unterwegs auf Zucht und Ordnung achten mussten, versteht sich von selbst. Sie mussten bei der Herzogenauracher Wallfahrt nach Dettelbach/Main „Männlein und Weiblein streng nach Geschlechtern" in getrennten Scheunen unterbringen und das alles wegen der „vermaledeiten Unzucht". Und auch bei den Spinn- und Rockenabenden im Herbst und Winter fanden die Menschen Ablenkung vom harten Arbeitsalltag.
Mitte des 19. Jahrhunderts konnte man in Bayern verstärkt an „Konstitutionsfeiern" teilnehmen, bei denen an die Verfassung des bayerischen Königs gedacht werden sollte. Die Schuljugend musste den Rednern zujubeln und die Erwachsenen taten sich am ausgeschenkten Freibier gütlich. Nach der Reichseinigung von 1871 trafen sich Arbeiter und bürgerliche Bevölkerung zu den Sedansfeiern, zur Erinnerung an den glorreichen Sieg über die Franzosen. Die Keller im Herzogenauracher Weihersbachgelände waren hierbei Treffpunkt für vaterländische Reden und zünftiges Zechen. Zusätzlich fand man auf der Kegelbahn oberhalb der Keller Abwechslung.
Ende des 19. Jahrhunderts suchte man verstärkt Unterhaltung und Geselligkeit in Vereinen. Die Arbeiterschaft solidarisierte sich in Radfahrervereinen (Solidarität in Herzogenaurach), liberal Gesonnene und Konservative schlossen sich zu Sänger-, Schützen - oder Turnvereinen zusammen. „Vater Rhein" mit seinen Weinhängen und Burgen wurde besungen, Kaiser- und Kriegerdenkmäler sowie Bismarckbüsten wurden enthüllt. Gleichzeitig war es die Zeit, in denen das gut situierte Bürgertum „Gesellschaften" gründete. Auch in Herzogenaurach blühte diese Art von Vereinsleben zwischen 1875 und 1900 z.B. im Zitherverein und bei der Gesellschaft „Harmonie" oder im „Dilettantenverein", der sich die Förderung von Kunst und Kultur zur Aufgabe gemacht hatte.
Und dann war da noch der „Kinematograph". Man ergötzte sich an bewegten Bildern, die von Operateuren in Bretterhütten oder Wanderkinos sowie in schummrigen Wirtshäusern auf Bildflächen geworfen wurden. Der Stummfilm mit Bildern vom Kaiser, seiner Familie und seinen Schiffen faszinierte die Bevölkerung, die bald aber grausame Aufnahmen von den Gefechten des 1. Weltkriegs zu sehen bekam. Und die Herzogenauracher bekamen bald im Kino im Bayerischen Hof bewegte Bilder vorgesetzt und konnten sich somit den zweistündigen Fußmarsch zum Kino nach Erlangen sparen.