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INA - 65 Jahre

Herzogenaurach. 65 Jahre sind im Leben des berufstätigen Menschen meist mit dem Eintritt ins Renten- oder Pensionsalter verbunden, sind bisweilen auch Anlass, auf das Erreichte und Geschaffene zurück zu blicken. Und manche Zeitgenossen laden sogar zu einer Feier ein.

Einen Grund zum Feiern hätte eigentlich auch die Stadt Herzogenaurach und mit ihr könnten die über 8000 Beschäftigten der INA-Schaeffler KG in der Aurachstadt eine große Party feiern. Denn im März 1946, also vor 65 Jahren wurden die Weichen gestellt für die Ansiedlung der Schaeffler Gruppe, die das Bild der Stadt und deren Sozialstruktur total verändern, ja umkrempeln sollte. Im März 1946 wurde der Grundstock dafür gelegt, dass aus dem einseitig strukturierten Schlappenschusterstädtchen eine weltweit bekannte Industriemetropole werden konnte. Es ist ein modernes Märchen, das in diesen sechseinhalb Jahrzehnten geschrieben wurde und in dem Herzogenaurach sich wie einst Hans im Glück vorkommen muss.

Blicken wir zurück in die Geschichte. Herzogenaurach zählte 1946 6479 Einwohner. Davon waren 1200 Heimatvertriebene  und Evakuierte, deren Zahl sich wenige Monate später noch auf über 2000 Personen erhöhen sollte. Außer in der Werkzeugmaschinen- und Apparatefabrik von Hermann Weiler, bei der Wollwarenfabrik Wirth und der Papierwarenfabrik von Johann Glock fanden die Herzogenauracher in knapp 20 Schuhfabriken Arbeit in den schweren Nachkriegsjahren. Die wirtschaftliche Lage im zerstörten Deutschland war desolat. Hunger, bitterkalte Wintermonate und die Sorge um die männlichen Familienmitglieder, deren Schicksal unbekannt war, bestimmten den Alltag - auch in Herzogenaurach. 

In jenen Tagen, da im Osten Deutschlands die Verschmelzung von SPD und KPD zur SED vorbereitet wurde und in Nürnberg der Gerichtshof tagte, gingen beim hiesigen Bürgermeister Hans Maier (SPD) zwei Telegramme ein  (am 05.03.1946 und 14.03.1946), in denen sich ein Dr. Wilhelm Schaeffler aus Schwarzenhammer zu Gesprächen ankündigte. Das zweite dieser Telegramme, am 12.03. (Dienstag) um 19 Uhr aufgegeben, kam zwei Tage später um 16 Uhr hier an , war an Bürgermeister „Ernst" Maier  gerichtet und enthielt folgenden Text: „Ankommen zwecks Besprechung voraussichtlich am Samstag" Dr. Wilhelm Schaeffler  Schwarzenhammer.

Die Kontakte zu diesem Treffen hatte der Herzogenauracher „Kaufhausbesitzer" und Fahrlehrer Welzel (Steinweg 10) bei einer Fahrt ins Fichtelgebirge hergestellt, für die Maier Benzingutscheine beschafft hatte.

Doch woher rührte das Interesse der Herzogenauracher Lokalpolitiker an einem Gespräch mit Schaeffler?

In dem kleinen holzreichen Ort an der Eger im heutigen Landkreis Wunsiedel wurden 1946 Handwagen produziert. Diese gelangten jedoch nicht in den Verkauf sondern wurden für Kompensationsgeschäfte (Tauschhandel) mit dem Ruhrgebiet und dem Saarland genutzt. 250 Handwagen pro Woche wurden auf dem Schienenweg in den Westen Deutschlands geschafft und gegen Kohle eingetauscht Für einen Wagon Handwagen erhielt man zwei Wagons Kohle, die man teilweise an die Stadt Nürnberg weitergab und dafür von Nürnberg Holzschlagerechte bei Schwarzenhammer erhielt. Außerdem belieferte Schaeffler die Maxhütte in der Oberpfalz  und erhielt als Gegenleistung dafür Metallteile (Reifen usw.), die dringend für die Handwagenproduktion  benötigt wurden.

 Entscheidend für den „Drang der Schaeffler nach Süden", also  für den Weg in Richtung Herzogenaurach war die ungünstige Verkehrssituation im nordostbayerischen Grenzgebiet, vor allem mangelte es an einem Bahnanschluss. Und eben diesen besaß Herzogenaurach damals. Und außerdem gab mit Hans Maier einen kompromissbereiten Bürgermeister hinter dem ein aufgeschlossener Stadtrat stand, der einseitige Wirtschaftsstruktur des Städtchens ändern wollte.  

 Schaeffler - wer oder was ist das?

Die Geschichte des Unternehmens beginnt in Oberschlesien, in Katscher im KreisLeobschütz. Hier hatte die Familie Schaeffler die marode Davistan AG, ein Textilunternehmen übernommen, in dem in vier Werken Plüschstoffe, Krimmer (Wollgewebe und Fellimitationen)) und maschinengeknüpfte Teppiche hergestellt wurden. Die beiden Diplomkaufleute Dr. Wilhelm (geboren 1908) und Georg (geboren 1917), beide im Raum Neunkirchen/Saar aufgewachsen, sanierten den Betrieb, führten ihn  aus der Talsohle und stockten die Belegschaft von 300 auf 1500 Mitarbeiter auf.

Zusätzlich zur Weberei hatte man den Betrieb seit 1928 durch eine Abteilung für Metallverarbeitung erweitert. Hier wurden Wälzlager hergestellt, die mit Kriegsbeginn dringend für die Panzer und Panzerketten benötigt worden waren.

Und weil das Zentrum der Kugel- und Wälzlagerproduktion im unterfränkischen Schweinfurt immer mehr Ziel feindlicher Bombenabwürfe wurde, wurden die Schaeffler Werke in Katscher für die deutsche Kriegswirtschaft immer wichtiger.

 

Mit dem Nahen der Roten Armee wurde die Lage für das Schaeffler Unternehmen immer prekärer. Der Betrieb musste „evakuiert" werden. Die Maschinen wurden abgebaut, auf Güterwagen verladen und im Februar 1945 reisten Menschen und Maschinen an der „goldenen Stadt Prag" vorbei nach Meerane ins nördliche Sachsen. Während die geflüchteten Mitarbeiter notdürftig in einer Schule vegetierten, wurde hier notdürftig auf engstem Raum in einer leer stehenden Fabrik produziert. Doch der „Doktor", wie Wilhelm Schaeffler von seinen Angestellten respektvoll genannt wurde, machte bald einen günstigeren Standort aus: eben jenes Schwarzenhammer, südlich der oberfränkischen Porzellanmetropole Selb. Mittels eines „Besitznahmescheins" wurde die frühere Porzellanfabrik Schumann & Schneider zur neuen Schaeffler Zentrale.

Mit dem Einmarsch der Amerikaner im Fichtelgebirge kam das Aus für Wälzlagerproduktion. Ware für die Fortführung des Krieges durfte nicht mehr hergestellt werden. Und nun begann die eingangs angesprochene Produktion von Handwagen. Zusätzlich wurden Holzprodukte, wie Wäscheklammern, Kochlöffel, Knöpfe oder Gürtelschnallen produziert.

Herzogenaurach wird neuer Standort

Am 29.03.1946 beauftragte der Herzogenauracher Stadtrat Bürgermeister Hans Maier Verhandlungen mit der Firma „Industrie GmbH" bezüglich einer Ansiedlung in Herzogenaurach zu führen. Im April und Mai 1946 führte Regierungsrat Ewald Kalkhorst als Vertreter der Industrie GmbH (Schaeffler) und der „Feintuchfabrik Theodor Fröhner" weitere Verhandlung bezüglich der Ansiedlung eines Betriebs in Herzogenaurach.

 

Mit Stadtratsbeschluss vom 10.Mai 1946 wurde die Überlassung des ehemaligen NSFK-Heims (die sog. „Fliegerbaracke") im Weihersbach sowie die Errichtung von zehn  Behelfsheimen für die Belegschaft auf dem Gelände im Weihersbach genehmigt. Bis zur Fertigstellung neuer Werksbauten im Industriegebiet südlich des (damals noch existierenden) Bahnhofs sollte im Weihersbachgelände produziert werden. So wurden denn dann auch Schaeffler Holzknöpfe bzw. Gürtelschnallen als „Modell Weihersbach" in den Handel gebracht.

Zur Produktion von hölzernen Gürtelschnallen war es gekommen, weil Dr. Schaeffler aus Katscher eine größere menge Plüschstoffe mitgebracht hatte. Aus diesen wollte er bem örtlichen Schneider in Schwarzenhammer Wintermäntel für seine Angestellten herstellen lassen. Doch dieser musste passen, weil er keine Schnallen für die Mäntel hatte. Wilhelm Schaeffler erkannte diese Marktlücke, fuhr nach München und verkaufte dort innerhalb eines Tages über eine Million solcher Schnallen. Bis zu 200.000 solcher Gürtelschnallen wurden später monatlich produziert.

Inzwischen hatte Dr. Wilhelm Schaeffler mit einem Freund aus seiner Zeit in Katscher die Firma „Fritsch & Schaeffler GmbH" gegründet. Heinz Fritsch kümmerte sich als Geschäftsführer um den betrieblichen Ablauf und Dr. W. Schaeffler war für die Materialbeschaffung und die Finanzen zuständig und außerdem holte man den Feintuchspezialisten Theodor Fröhner mit ins Boot. Am 17.Juni 1946 wurde eine Vereinbarung zwischen der Stadt und den Firmeninhabern geschlossen, in dem „das stadteigene Grundstücksgelände am Bahnhof" der Firma Fritsch und Schaeffler nur unter folgenden Bedingungen übereignet wird. Darin heißt es:


a)     der Bau der Fabrikgebäude ist binnen einem Jahr - vom Tage der Übereignung des Grundstücks gerechnet - zu erstellen,

b)    binnen einem Jahr nach Fertigstellung der Gebäude sind mindestens 120 in Herzogenaurach wohnhafte Personen (Angestellte und Arbeiter) zu beschäftigen, es sei denn daß die Einstellung von 120 Personen ohne Verschulden der Firmen , z.B. durch die Arbeitsmarktlage bedingt, trotz nachträglicher Unterstützung durch das Arbeistamt nicht möglich sein sollte. Hierbei wird davon ausgegangen, daß der Beschäftigtenstand von 120 Personen als Stammpersonal zu gelten hat. Die Entwicklung der Forma ist derart gedacht, daß bei normalem Wirtschaftsaufstieg in fünf Jahren 500 - 700 Arbeitskräfte beschäftigt werden..........."

 

Bis zur Fertigstellung der geplanten Fabrikationsräume am Bahnhof sollte die Produktion in der genannten Fliegerbaracke erfolgen. Der Mitpreis für den Quadtratmeter betrug -.30 Reichsmark und für eine etwas 5000 qm große Lagerfläche vor der Baracke wurden -.05 Reichsmark berechnet.

Zu den zehn genehmigten Wohnbaracken für die aus Schwarzenhammer geholten ehemaligen „Katscherer" wurden seitens der Stadt noch einmal zwei Wohnbaracken genehmigt, allerdings unter dem Vorbehalt, dass die „Behelfsheime kein Hindernis für eine großzügige Siedlungs- und Wohnungsplanung der Stadt bilden."

Schließlich wurde vertraglich festgelegt, dass auf dem Gelände südlich des Bahnhofs folgende Gebäude erstellt werden sollen:

     a) die Erzeugung der Webstühle (für die Feintuchfabrik Fröhner)

b) die Erstellung der Eisenteile für Handwagen,

c)   die Versuchsweberei der Feintuchfabrik Fröhner,

d)   die Verwaltung der Firmen, die z.Zt. in Räumen des Schlosses untergebracht ist."

 

Insgesamt erwarb das Unternehmen mit Kaufvertrag vom 21.August 1946

10.435 qm bei einem Preis von 3.- Reichsmark /qm. (total: 31.350 RM).

 

Ab dem Spätsommer 1946 fasste die neue Firma Fuß in Herzogenaurach, auch wenn es für alle beteiligten anfangs nicht einfach war. Doch in Herzogenaurach gab Einheimische und Flüchtlinge, die Arbeit suchten. Und wenn Fachkräfte fehlten, holte man diese aus dem einstigen „Firmenbestand", nämlich von den „Katscherern" aus Schwarzenhammer nach.

Anfang April 1946 zog die „kaufmännische Mannschaft", bestehend aus 15 Personen in eine Baracke am Postplatz ein, unweit der „Volksküche" in der die Flüchtlinge versorgt wurden und in der später auch die Schulspeisung für Herzogenauracher Buben und Mädchen gekocht wurde.

Der „Maschinenpark" wurde teilweise im Schloss und in Nebenräumen des Vereinshauses deponiert.

Im Herbst 1946 traf das junge Unternehmen ein harter Schlag: Dr. Wilhelm Schaeffler war denunziert und an Polen ausgeliefert worden, wo er - ohne Prozess - fünf Jahre in Gefängnissen festgehalten wurde. Glücklicherweise war sein Bruder Georg bereits im Juni 1945 von den Amerikanern aus der Gefangenschaft entlassen worden. Er hatte sich mit seiner Einheit auf dem Rückzug in der sogenannten Alpenfestung am Achensee in Tirol aufgehalten und konnte sich somit  zu seinen Eltern und seinem Bruder nach Oberfranken durchschlagen.

Dr. Wilhelm Schaeffler, der sich während der Flucht aus Schwarzenhammer und der schweren Nachkriegsmonate immer rührend um seine Mitarbeiter gekümmert hatte, sie mit Kleidung, Lebensmitteln und Brennmaterial versorgt hatte, konnte Jahre nach der Konsolidierung der Unternehmensgruppe über die erste Zeit in Herzogenaurach rückblickend feststellen:

„"Wenn man so als ´Flüchtling` wieder anfangen musste, waren weder Grund noch Boden, noch Straße, noch Kanalisation, geschweige denn Gebäude vorhanden. Darüber hinaus fehlte jede bodenständige Verbindung....Hier in Herzogenaurach waren wir nicht lange die Zugezogenen, sondern sehr bald ein fester Bestandteil und Grundlage des gesamten weiteren Ausbaues auch der Stadt....."

                                            Klaus-Peter Gäbelein

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