Herzogenaurach. 75 Jahre sind es her, als im „Schdeedla“ Herzogenaurach noch erbitterte Not zu spüren war. Von einem ruhigen und geregelten Alltagsleben konnte ein Jahr nach Kriegsende noch keine Rede sein. Noch immer herrschten die Sorge um den Verbleib von Familienangehörigen, deren Verbleib noch ungewiss war, um die Versorgung und das tägliche Brot. Hinzu kam eine weitere Belastung durch die vielen Heimatvertriebenen und Flüchtlinge, die teilweise auf - engstem Raum bei einheimischen Familien einquartiert - eine erste Bleibe gefunden hatten.
In den größeren und „besseren“ Bürgerhäusern gaben sich die amerikanischen Offiziere die Klinke in die Hand: im Schwarzen Bären und im Weißen Ross auf der Hauptstraße (heute Sparkassengebäude), in der Krone und im Cafe Mauser (heute Bürogebäude mit NN-Lokalredaktion), in der Knabenschule (spätere Arztpraxen Dr. Bellendorf und heute Dr. Stengel), in der Gaststätte von Fleckinger am Beginn der heutigen Flughafenstraße, in der Beyschlagschen Apotheke, der Klinger Villa am Eingang zum Weihersbach, der Lehmanns Villa (später Privathaus Dr. Schaeffler) und der „Daßler Villa“ oberhalb der späteren Fertigungsstätte der „adidas Schuhe“ – alle genannten Gebäude waren 1946 noch von US-Offizieren belegt.
Bevor die ehemaligen Kasernen am Flugplatz von den US-Mannschaften belegt werden konnten hausten die US-Soldaten in den Räumen der Firma Weiler in der Würzburger Straße und in der Gaststätte „Gambrinus“ (obere Bamberger Straße). Auf der Hauptstraße war eine Feldküche der Amerikaner aufgebaut, bei der sie Essen fassen konnten.
Die amerikanischen Sieger gingen äußerst großzügig mit ihrer Nahrung um, während die Deutschen, sprich die Herzogenauracher nach Kriegsende erst richtig kennen lernten, was Hunger ist. Auch wenn es manche Einheimische in den Jahren des Wiederaufbaus nicht mehr wahrhaben wollte, man sammelte gerne das ein, was die US-Amerikaner wegwarfen: Innereien von Geflügel, angebrochene Brotpackungen mit dem „weichen, weißen Gummibrot“, Obst, das geringe Druckstellen aufwies. Nur wer jemals Hunger verspürt hat, kann ermessen, ob es wirklich eine Erniedrigung darstellt, wenn man sich nach Weggeworfenem bückt, um den knurrenden Magen zu beruhigen.
Hamstern und tauschen
Doch um überleben zu können und sich nach Möglichkeit auch einmal etwas, sprich einkleines bisschen mehr als normal zu gönnen, da war besonders nach dem Krieg und trotz mancher Ausgangssperren, etwas angesagt, um das Leben zu verschönen: das Hamstern und das Tauschen! Man trug zusammen, was man selbst gebrauchen konnte oder gegen etwas einzutauschen, was vielleicht irgendwann einmal von Nutzen sein konnte. Wohl dem, der damals über einen rollenden oder fahrbaren Untersatz verfügte: egal, ob Handwagen oder Fahrrad, beides war bei Kriegsende Gold wert. Mit ersterem zog man hinaus in Flur, wenn die Kartoffelernte angesagt war und im Wagen war bei uns immer das „Freedla“, eine schmale „Harke“, am besten zweizinkig. Damit hieß es dann„nach graben“, denn der Boden gab immer noch etwas an Kartoffeln her. Und es reichte für eine Mahlzeit oder für einen Hafen „Sau-Potacken“ für das Schwein oder für die Hasen, die der Großvater in einem selbst notdürftig gezimmerten quadratischen Stall groß zog. Ein Hasenbraten an einem Sonntag, noch dazu wenn das Pfund Schweinefleisch für eine Familie nicht reichte – eine Köstlichkeit!
Mit dem eingangs erwähnten Fahrrad strampelte man durch den alten Landkreis Höchstadt, ja sogar bis hinüber in die „Fränkische“, denn da gab es in den Dörfern fast immer etwas Essbares zu holen oder einzutauschen. Wohl dem „Herziaurier“, der dazu noch ein Paar Schlappen vorzeigen konnte, selbst wenn die Sohlen derselben nur aus alten Fahrradreifen stammten. Die alte Herzogenaurach Tradition erlebte eine ungeahnte Wiedergeburt! Rina U. aus der Hinteren Gasse hat beispielsweise in Emskirchen (immerhin 15 km einfache Radstrecke) ein stärkere Nähnadel (die sie einmal beim Schlappen-Nähen beiseite geschafft hatte gegen ein Ei (!) eingetauscht (Ein Ei – man höre und staune!). Als sie ein anderes Mal beim (verbotenen !) Pflücken von Schwarzbeeren gestellt wurde, gab sie dem dunkelhäutigen Soldaten zu verstehen „für mei Bäby“; worauf der GI sich entfernte und nach kurzer Zeit mit zwei vollen Händen von Schwarzbeeren zu ihr zurückkehrte mit den Worten „for your baby“ worauf der guten Rina das Wasser in die Augen schoss!
Xaver G. aus der Schlaffhäusergasse war beim Organisieren (verächtlich sprach man vom Hamstern) noch erfolgreicher. In Gaiganz, am Eingang zur Fränkischen Schweiz tauschte er ein Paar Schuhe (selbstverständlich selbst geschusterte Lederstiefel) gegen –man höre und staune – ein großes Stück von einem frisch geschlachteten Schwein, plus zwei Hühner sowie eine Tüte Mehl und etwas Obst ein. Seine gesamte Beute wäre auf der Rückfahrt in Höhe von Baiersdorf beinahe von der Polizei konfisziert worden – doch seine vorgezeigte Kriegsverletzung verhinderte eine Beschlagnahme.
Bleibt zum Schluss noch eine andere bekannte und beliebte Persönlichkeit aus dem Herzogenauracher Umfeld der Nachkriegszeit, ein Mann, ein wenig zwielichtig, aber als großer Organisator bekannt: „der Schieber Kurt“. Eigentlich hieß er Kurt Redmann und stammte irgendwoher aus dem Osten. So genau wusste das eigentlich niemand. Doch der Kurt kannte so viele Menschen und vor allem er besorgte alles: Butter, Eier, Milch oder Schuhe. Dinge, die man zwischen Kriegsende und Währungsreform nicht oder nur unter der Hand auf dem illegalen Schwarzmarkt bekommen konnte: Alkohol, Zigaretten oder Tabak, Gebrauchsgegenstände, die der Markt nicht hergab. Zu deutsch: ein Schieber war ein Schwarzhändler, der nach dem Grundsatz handelte, ich besorge Dir (fast) alles: Beziehungen schaden nur dem, der sie nicht hat, (eine gewisse Flexibilität und Mobilität vorausgesetzt!) Zugute kam dem Kurt in seinen Blütejahren allerdings die Tatsache, dass es in den Nachkriegsjahren (bis 1948) ab 18 Uhr eine Ausgangssperre (einen lock down, so heißt das wohl heute) selbst für Polizisten gab! Klaus-Peter Gäbelein