Vor 25 Jahren kam das Aus für die Herzogenauracher Bahnlinie
Der ehemalige Bahnbeamte Robert Deutinger erinnert sich
Herzogenaurach (gä) Das S-Bahnnetz wird von Nürnberg über Forchheim in Richtung Bamberg ausgebaut, - aber Herzogenaurach bleibt vorab, Politiker fordern seit Jahren eine Stadt-Umland-Bahn, doch der Nahverkehr in Richtung Erlangen läuft ausschließlich über die Straße. Vorbei sind die Zeiten, da Herzogenaurach noch einen eigenen Bahnhof besaß und als der Personen- aber auch der Güterverkehr für die Bahn äußerst ertragreich war.
Einer, der Höhen, aber auch Tiefen am hiesigen Bahnhof miterlebt hat, ist Robert Deutinger aus Burgstall.
Mit 14 Jahren begann der gebürtige Nürnberger als „Eisenbahn Jungwerker" im „nichttechnischen Bereich" seine Ausbildung bei der Deutschen Bundesbahn an der „Hauptdienststelle" am Bahnhof Erlangen-Bruck. 50 Stunden betrug die Arbeitszeit und als „Stift" verdiente 50 DM im ersten Lehrjahr, sogar 90 im dritten bei immerhin 50 Arbeitsstunden in der Woche.
Kaum hatte er ausgelernt, wurde er für „ein paar Tage" an den Bahnhof nach Herzogenaurach „abkommandiert. Aus den „paar Tagen" wurden Wochen, Monat und schließlich 20 Jahre Dienst in allen Bereichen, quasi als „Mädchen für alles", am hiesigen Bahnhof. In dieser Zeit fand Robert Deutinger auch das Glück seines Lebens. Er heiratete seine „Gundi", baute ein schmuckes Haus am oberen FC-Platz, bevor es ihn mit seiner Familie nach Burgstall zog, wo er seit über 30 Jahren glücklich und zufrieden lebt und bestens integriert ist.
Die Mitarbeiter
In der Aurachstadt fand er eine "Nebendienststelle mit Vorstand" vor, so die offizielle Bezeichnung für den hiesigen Bahnhof, der 1893/94 oberhalb vom „Nürnberger Tor" erbaut worden war. Manche der folgenden Beamten und Arbeiter am Herzogenauracher Bahnhof werden den Alteingesessenen noch bekannt und vertraut sein.
Deutingers Vorgesetzter war bis 1980 Bahnhofsvorstand Herbert Würch. Dieser hatte die ihm zustehende Dienstwohnung im Bahnhof Obergeschoss seinen Eltern überlassen und wohnte in Falkendorf. Würchs Stellvertreter hieß Meier und dann gab es da noch die Kollegen Marscholik und Trippner, den Toni Stranski, den Galsters „Schorsch", damals Wirt von der Gaststätte „Blaue Glocke", nebst dessen Sohn, den Kraft aus Falkendorf sowie die Kollegen „Toni" Herbst, Spichal aus Münchaurach und Kramer aus der Adalbert-Stifter-Straße. Ältere Herzogenauracher können sich noch an den Zugschaffner Wewetzer erinnern. Sie alle bildeten eine verschworene Gemeinschaft und wenn Not am Mann war, dann half man sich gegenseitig, egal ob bei der Fahrkartenausgabe oder beim Güterverkehr.
Und weil die Arbeit am Bahnhof durstig machte, versorgte Georg Galster seine Kollegen mit entsprechender flüssiger Nahrung. Außerdem gab es ja auch noch die Möglichkeit, beim „Spootz" (Gaststätte zur Eisenbahn) oder beim „Schuftn Michel" (oberhalb der Firma „adidas") Durst und Hunger zu stillen.
Während der Heizer Kaltenhäuser, in der Stadt als „Gre-i-gobl" bekannt und der Lokführer Gebhard aus dem hiesigen Dambach nach Dienstende nach Hause gehen konnten, nächtigten auswärtige Zugführer, Lokführer oder Heizer im Obergeschoß des Lokschuppens am östlichen Ende des Bahnhofs. Am Lokschuppen wurden die „Dampfrösser" mit „Aurach-Sprit" aufgetankt, mit Aurachwasser also und die Tender mit Kohle für die Fahrt am kommenden Morgen beladen.
Der Güterverkehr
Im Personen- und vor allem im Güterverkehr hat die Bahnlinie Erlangen-Herzogenaurach seit ihrer Eröffnung im April 1894 immer satte Erträge abgeworfen. Die Situation hat sich erst geändert, als beides seit den 70-er Jahren verstärkt auf die Straße verlagert worden ist.
Kurz nach vier Uhr in der Früh erreichte der erste Güterzug Herzogenaurach. Dann wurde "umgespannt" und die Lokomotive vor den Personenzug gespannt, der um 5.10 Uhr in Richtung Erlangen abdampfte. In den 60-er und 70-er Jahren konnte sich die Bundesbahn Mitarbeiter über Arbeit nicht beklagen. Die Personenzüge waren vor allem morgens und abends überbesetzt und der Güterverkehr nahm ungeahnte Ausmaße an.
Die zahlreichen Schuhfabriken lieferten täglich LKW- Ladungen mit Ware und an und wer kein Kraftfahrzeug besaß, brachte seine Schlappen und Schuhe per Handwagen in große Kartons verpackt zum Bahnhof: die Oberfränkische, Schürr, Hetzler, Kaltenhäuser und wie sie alle hießen; „und ganz zum Schluss am frühen Abend kam meist der Gehrs Toni mit seinem VW-Bus und lieferte", so erinnert sich Robert Deutinger. Nicht vergessen werden dürfen die Sportschuhfabriken Kern und Mahr und natürlich adidas und Puma.
Kohlen, Rüben, Farbe, Leim, Teppiche und Schrott
Bei Robert Deutingers Dienstbeginn waren die Herzogenauracher Kohlenhändler Maier, Krumm und Daigfuß fast ununterbrochen im Einsatz. Es galt die Haushalte mit Briketts und Eierkohlen zu versorgen und riesige Mengen Steinkohle, von den Amerikanern aus den USA angeliefert, auf die Base zu befördern. Die Besatzer lieferten billige Steinkohle aus Pennsylvania, die zudem einen viel höheren Brennwert hatte als deutsche Ware. Mehrmals täglich fuhren die Daigfuß-LKW hinauf zur Base.
Auch das Geschäft mit der Baywa boomte damals. Kunstdünger und Saatgetreide, Baumaterialien und Maschinen wurden angeliefert und im Herbst wurden große Mengen Zuckerrüben verladen. Aus riesigen Netzen wurden sie über den Waggons ausgekippt. Bei den eingehenden Gütern, oft per Express ausgeliefert, gab es häufig Lieferungen von grüner Farbe für die Firma Weiler zum Spritzen der Maschinen und Drehbänke, während die Schuhindustrie große Mengen Leder, Gummi und Leim benötigte, die Fuhrmann Mauser an die Verbraucher in der Stadt lieferte. Und nicht vergessen werden dürfen die Tankwagen, beladen mit Schweröl für den Maschinenpark bei Schaeffler.
Tag für Tag lieferte das Schaeffler - Teppichwerk per LKW schwere Teppichrollen. In Packpapier gehüllt und mit Bandeisen umfasst wurden die beliebten Teppiche an die großen Versandhäuser Witt in Weiden, Schöplin in Hagen, an Neckermann und Quelle verladen. Und als die INA - Wälzlager ihren Siegeszug durch Deutschland angetreten wurden Mengen an Metallschrott angeliefert, die per Bagger bzw. Kran mittels Elektromagnet auf die Güterwagen verladen wurden, Die Metallschmelzen im oberpfälzischen Maxhütte - Haidhof und im italienischen Udine waren die Zielbahnhöfe. Bald reichte die kleine Rampe am Güterbahnhof nicht mehr aus. Sie wurde verlängert, so dass täglich drei Waggons mit den unterschiedlichsten Gütern beladen werden konnten.
Für die Auslieferung der eingegangenen Waren war das „Fuhrunternehmen Mauser" zuständig. Der Fuhrmann, der „Mausers Lenz" war eine „institution in der Stadt". Jeder kannte ihn und seine Mitarbeiter. Bevor Kutscher Paulus in seiner langen schwarzen Lederschürze mit seinen Helfern, dem „Fischers Bader" oder dem „Herwichs Karl" den flachen Bruckenwagen beladen konnte, erschien, elegant gekleidet, Mausers Tochter Anni, „Disponentin" würde man sie heute nennen. Sie legte die Tour für das Ausfahren der Waren im Städtchen fest.
Nicht nur in Herzogenaurach, auch der Nürnberger Güterbahnhof war ein riesiger Umschlagplatz in den 60-er und 70-er Jahren. Auf acht Rampen wurden damals im Rangierbahnhof Nürnberg täglich 360 Waggons beladen und davon profitierten selbstverständlich auch viele Speditionen und Fuhrunternehmen.
Der Personenverkehr
Die Züge am Vormittag und abends waren mehr als ausgelastet. Arbeiter und Angestellte, Schüler und eine Handvoll Studenten fuhren mit ihrer Wochen- oder Monatskarte nach Erlangen, Fürth und Nürnberg. Selbst auf den Plattformen standen die Menschen und im Wagen hatten die meisten Fahrgäste ihre Stammplätze. Es wurde geraucht, dass man kaum die Hand vor den Augen erkennen konnte, Karten gespielt, geblödelt und posiert. Freundschaften wurden geschlossen und mancher fand in der „Mockel" seinen Ehepartner. In den schlecht geheizten Wagen rückte man im Winter ein wenig enger zusammen, in den Gängen stauten sich die Fahrgäste und für den Fahrkartenkontrolleur gab es da kein Durchkommen. Kein Wunder, dass manche Reisende versuchten, zu zweit auf einer Karte zu fahren. Und am Umsteigebahnhof in Bruck ging bei den Zügen in Richtung Nürnberg das Gedränge weiter.
Die braunen Fahrkarten aus Pappe musste man rechtzeitig am Fahrkartenschalter im hiesigen Bahnhof kaufen. 70 Pfennige kostete die einfache Fahrt in die nahe gelegen Universitätsstadt. Mittels einer Maschine konnten die Bahnangestellten die Karten ausdrucken. Und bei ausgefallenen Reisezielen wurden die Fahrscheine per Hand und mit Durchschlagpapier ausgefüllt. An der „Sperre" wurden die Karten gelocht oder vorgezeigt und wer eine vertraute Person mit zum Zug begleiten wollte, benötigte eine Bahnsteigkarte, die „a Zehnerla" kostete.
Das Aus
Nach 90 Jahren kam 1984 das Aus für den Herzogenauracher Bahnhof und den Zugverkehr. Robert Deutinger war bereits zehn Jahre vorher aus dem Eisenbahnerdienst ausgeschieden. Er ließ sich zunächst für zwei Jahre beurlauben und übernahm dann den Stückgutverkehr, zunächst vom hiesigen Bahnhof aus; später fuhr er die Bahnhöfe in Fürth und Nürnberg an und versorgte die Herzogenauracher Firmen und Privatkunden solange mit Stückgut, bis auch die Bahn in den 90-er Jahren den Stückgutverkehr aufgegeben hat. Vor zwei Jahren ist er in den wohl verdienten Ruhestand getreten und mit seiner Geschäftsaufgabe ist das Kapitel „Herzogenaurachs Eisenbahngeschichte" tatsächlich Geschichte geworden.
Klaus-Peter Gäbelein