Seit 60 Jahren gelebte Ökumene
Herzogenaurach (gä) Für die evangelischen Christen in Herzogenaurach war das Leben in der Diaspora nicht immer leicht, wie Augenzeugen berichten. Dennoch lebte man mit den Katholiken friedlich nebeneinander, respektierte und tolerierte sich.
Mischehen waren bis nach dem Krieg eine Seltenheit und wenn, dann setzte sich meist die katholische Seite durch. Anders war das in der Brauerfamilie Heller in der Hauptstraße. Die Familie Heller aus dem westlichen Landkreis kam in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts an die Aurach und erwarb 1874 die Brauerei in der heutigen Hauptstraße (damals Obere Badgasse). Zusammen mit den wenigen lutherischen Familien besuchte man die Gottesdienste. Zunächst in Münchaurach, später in der St. Georgen Kapelle im Schloss. Man hielt zusammen und bildete eine eigene kleine Gemeinde.
Ab 1930 engagierte sich Brauereibesitzer Hans Heller sen. für den Bau einer eigenen evangelischen Kirche. Zusammen mit Burgstaller (evangelischen) Bauern organisierte er Bauholz und als die Bauarbeiten begannen, war es selbstverständlich, dass die Arbeiter kostenlos mit Getränken aus der Hellerschen Brauerei versorgt wurden und ein warmes Mittagessen auf Kosten des Hauses erhielten. Bald hieß es im Städtchen „Der Heller hat die evangelische Kirche zur Hälfte aus der eigenen Tasche bezahlt."
1946 mussten die Heller eine ausgesiedelte und geflüchtete deutsche Katholikin aus dem heutigen Tschechien ausnehmen: Maria Glumbler aus Plattendorf. Vom elterlichen Bauernhof her, war ihr die Landwirtschaft vertraut und Maria packte mit an, wie sie es von zu Hause gewohnt war.
Für die 22-jährige Maria, in ihrer Familie und von den Freunden „Mizzi" gerufen, war das endlich die Ruhe nach dem Sturm. Unsagbares Leid hatte sie auf der Flucht vor der Roten Armee (den „Iwans") erfahren und mit ihren Geschwistern über Südmähren ins Waldviertel gelangt. In Znaim und Fünfkirchen entging sie gerade noch der Misshandlung durch russische Soldaten, kam bei Bauern unter, bevor die Österreicher die „Reichsdeutschen" ins „Reich" abschoben.
Glücklich und froh arbeitete die 22-Jährige in der Hellerschen Landwirtschaft, als eines Tages Hans Heller sen. beim „Mist Ausbreiten" am „Schmidts-Acker feststellte: „Du bist fleißig, kannst arbeiten und kennst dich in der Landwirtschaft aus, du wärst die richtige Frau für meinen Schorsch".
1950 läuteten die Hochzeitsglocken der evangelischen Kirche in Herzogenaurach. Das katholische Flüchtlingsmädchen Maria gab dem Brauereierben Georg das Ja-Wort. Weder die Schwiegermutter noch die Geistlichen der beiden Konfessionen (Stadtpfarrer Ritter und Adalbert Hudak) erhoben nach Brautgesprächen irgendwelche Einwände. Ihr Brautspruch ist „Mizzi" Heller noch heute präsent: „Selig sind die, die Gott hören und bewahren."
Und als dann die Kinder geboren wurden, Karin, Hans und Brigitte, war es für Frau Heller eine Selbstverständlichkeit, dass die Drei evangelisch getauft und erzogen worden sind. Sie selbst fühlte sich in der lutherischen Gemeinde von Anfang an wohl: Sie wurde aufgenommen, als sei sie eine, die hier groß geworden war. „Was mir von Anfang an gefiel, war, wie angenehm langsam und innig hier gebetet wurde; von unseren Rosenkranzandachten, war ich Anderes gewöhnt", so Mizzi Heller. „Und die evangelischen Pfarrer Hudak und Grießhammer gingen bei uns ein und aus" ergänzt die rüstige Seniorin, die noch heute an der Gemeindarbeit regen Anteil nimmt.
Wenn es ihre Zeit erlaubte, - in der Gaststätte gab es damals noch Mittagstisch und außerdem musste für die Familie gekocht werden - besuchte sie den Gottesdienst in der von-Seckendorff-Straße. In der zweiten Bank hatten die Heller ihren „Stammplatz". Bei den Konfirmationsgottesdiensten ihrer Kinder war es eine Selbstverständlichkeit, dass sie am Abendmahl teilnehmen durfte.
Wenn heute bei der Fronleichnamsprozession vor dem „evangelischen" Gasthaus Heller ein „katholischer" Altar aufgebaut ist und das Allerheiligste präsentiert wird, so ist das nur eine Fortsetzung der echten Ökumene, die „Mizzi" Heller von Anfang an in Herzogenaurach erfahren hat, zumal auch die Kinder in der Schule voll integriert waren. Auch wenn sie bis zum Ende in rein evangelischen Klassen unterrichtet worden sind: bei den Freunden und Spielgefährten gab es keinen Unterschied zwischen evangelisch und kathiolisch.
Klaus-Peter Gäbelein