Früher für viele unentbehrlich: das Fahrrad
Zahlreiche Initiativen in Herzogenaurach beschäftigen sich derzeit mit dem Rad fahren. Da geht es um gesundes Klima und um Energieeinsparung, ja man beteiligt sich auch an einer Sternfahrrad per rad nach Nürnberg. Aus diesem aktuellen Anlass hatte man beim Gesprächskreis des Heimatvereins „So war es früher...!" das Thema Rad in den Mittelpunkt bei letzten Zusammentreffen gestellt.
Vorsitzender K.-P. Gäbelein gab eingangs einen anschaulichen Abriss der Geschichte des Fahrrads und spannte dann den Bogen zum Fahrrad und seiner Geschichte in der Aurachstadt. Nach der Weiterentwicklung vom Laufrad und dem Hochrad zum Fahrrad in seiner heutigen Gestalt, ergriff ganz Deutschland ein „Fahrradboom". Gerade in Mittelfranken stand die Wiege zahlreicher Fahrradfabriken und Nürnberg war nach Neumarkt (Fahrradfabrik von Carl Marschütz) die Wiege der „Velocipeds", wie die fahrbaren Untersätze seit 1880 genannt wurden. Um 1900 entstanden die Fahrradfabriken Hercules, Zündapp, Victoria, Triumph, Mars und Ardie (Arnold Dietrich).
Der Fahrradboom schwappte auch nach Herzogenaurach über und schon 1894 wurden mit dem Radfahrerclub RC und 1906 mit der „Solidartät" die ersten Radfahrervereine gegründet. Es dauerte nicht lange, bis man die ersten Straßenrennen in Richtung Frauenaurach oder Wilhelmsdorf austrug. Über die Schlagloch übersäten Straßen dienten die fahrbaren Untersätze damals aber auch, um schneller und preiswerter zur Arbeit nach Erlangen oder Nürnberg zu gelangen.
Breiten Raum beim Gesprächskreis nahm dann die Nachkriegszeit ein. Das Fahrrad hatte ab 1945 einen hohen Stellenwert, schließlich war es das unkomplizierteste und schnellste Verkehrsmittel. „Als Flüchtlingsbub brauchte ich mein Rad, um täglich Hasenfutter für unsere Stallhasen und im Herbst Getreidereste als Hühnerfutter beizuschaffen", so Heinz Pallesche. Und Gäbelein erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass man dem amerikanischen „Statthalter" nach der Besetzung der Stadt das Fahrrad vor dem Rathaus entwendet hat und dass die US-Behörden dem Dieb mit der Todesstrafe gedroht haben.
Schwierig war es in der Nachkriegszeit, an Ersatzteile für Fahrräder zu gelangen. Weil es keine Gummilösung zum Flicken durchlöcherter Schläuche gab „machten wir uns die Gummilösung selbst", so Pallesche. „Kreppsohlen in Benzin aufgelöst, klebten besser als jede herkömmliche Gummilösung", erklärte Pallesche den erstaunten Zuhörern. Und er hatte noch eine besondere Zugabe: „Weil bei Fahrten in der Dunkelheit, die Polizei ein besonderes Auge auf die Beleuchtung der Räder warf, die Glühbirnen beim Rücklicht aber meist sehr rasch durchbrannten, hatten wir auf dem Weg zur Arbeit nach Erlangen immer ein paar Ersatzbirnen in der Hosentasche, die im Bedarfsfall rasch ausgetauscht werden konnten", so der einstige „Flüchtlingsbub" der in Erlange eine Lehrstelle gefunden hatte. „Zwei Mark kostete es nach 1948, wenn uns die Polizei mit defektem Licht erwischt hat", so „Daniel Düsentrieb" Pallesche.
„Reparaturwerkstätten gab es eine ganze Reihe in der Stadt", wusste Robert Deutinger zu berichten. „Da war einmal der Grosse im Steinweg 5 (dem heutigen Domizil des Heimatvereins") und neben dem heute noch bekannten Zweiradcenter von Radsport Nagel (einst in der Mühlgasse) gab es den Fahrrad - Kurr am Türmersturm, eine Reparaturwerkstatt im Keller der heutigen Firma Ellwanger, bei der Stadtwaage war Fahrrad May, in der Steggasse die Reparaturwerkstatt Schramm und in der Kellergasse reparierte und verkaufte der Zimmerer." Die Alteingesessenen erinnerten sich auch an die Fahrradwerkstätten vom Frischholz auf der Höhe der Abzweigung der Straße nach Hauptendorf oder an den „Becken-Adel" (Winkelmann) in Niederndorf.
Mit dem Rad fuhren Herzogenaurachs Sportler zu Wettkämpfen in die Umgebung nach Erlangen oder in das Nürnberger Umland. Abenteuerlich war es allemal mit den „Drahteseln" auf Tour zu gehen. Trotzdem ließen es sich vor allem die Jungen nicht nehmen, in die Fränkische Schweiz und an die Wiesent zum Zelten zu radeln, wie Alfred Schreier. Horst Lohmeier schaffte es in fünf Tagen sogar bis nach Koblenz und über die Höhen des Spessarts wieder zurück an die Aurach zu strampeln. „Das war wunderschön, aber auch anstrengend - und von einer Gangschaltung konnte ich damals nur träumen", so der begeisterte Radler heute im Rückblick.
„Das Fahrradfahren lernten wir damals ohne Stützräder. Man versuchte einfach die Balance zu halten. Am besten geeignet waren da natürlich Damenräder, weil da keine Stangen im Weg waren", so die Gesprächsteilnehmer. Horst Becker ergänzte „Abenteuerlich war es, wenn wir als Buben ein viel zu großes Herrenrad fahren mussten und wegen des hohen Rahmens seitwärts an den Pedalen klebten".
Dass es bei Stürzen so manche Schürfwunde gab, war an der Tagesordnung. „Am Schlimmsten war es, wenn man mit der langen Hose in die Kette kam. Die war dann nicht nur voller schwarzer Schmiere, sondern auch oft zerfetzt und zu Hause hagelte es dann Schläge", so Horst Lohmeier. „Abhilfe schafften da die metallenen Hosenspanner - oder noch preiswerter ein Paar Wäscheklammern".
Eine lustige Episode hatte zum Abschluss des Gesprächs Robert Deutinger auf Lager. So hatte der Lehrling vom Fahrrad Zimmerer in sein Arbeitsbuch geschrieben: „Der Magd XYZ das Loch geflickt!" Somit war der Nachweis erbracht, dass die weibliche Bevölkerung ebenso dem Radfahren frönte wie das männliche Geschlecht.
Klaus-Peter Gäbelein